Geposted von BerniErni,
Von Ende August bis Ende Dezember lebte ich in London. Das heißt neben World City, Fish and Chips und Oxford Street auch: teure Mieten. Also zog ich in ein günstiges Zimmer ohne Tisch und mit schlechtem Internet. Die Konsequenz war klar - ich würde monatelang kein League of Legends spielen. Die Konsequenzen daraus waren mir allerdings nicht klar. Ein Erlebnisbericht.

Erzwungenes Detox – vier Monate ohne League



League of Legends. Das MOBA begleitet mich jetzt sechs Jahre lang und ich spiele es mit meinen Freunden fast täglich. Die Spannweite ist groß; es kann ein kurzes ARAM sein, es kann nur eine private Runde sein oder aber ein ganzer Tag voll mit League.

Dem einen oder anderen mag aufgefallen sein, dass dies erst der zweite Artikel meinerseits seit dem 1. September 2019 ist. Den Grund dafür habe ich oben angerissen: Ich absolvierte ein Praktikum in London, hatte dort zwei Nebenjobs und viel zu tun – kurz gesagt, ich hatte keine Zeit, weiter Artikel zu schreiben.

Doch damit nicht genug. Ich hatte darüber hinaus auch keine Zeit, Energie und in erster Linie keinen Platz, um League of Legends zu spielen. Das Spiel, das mich fast täglich begleitete, würde für vier Monate aus meinem Leben verschwinden.

Und ja, ich gebe zu, ich hatte Sorge, wie ich darauf reagieren würde. Würde ich das Spielen einfach vermissen? Würde ich gar nicht auf das Fehlen reagieren? Würde ich es doch irgendwie schaffen, ein Spiel zu starten? Und die alles in den Schatten stellende Frage: Bin ich eigentlich spielsüchtig?

Videospielsucht ist ein Thema, das in meinen Augen in der Gaming-Branche viel zu selten ernsthaft angesprochen wird. Wer sagt denn, dass ich nicht hätte süchtig sein können? Was ist die Definition? Immerhin spielte ich League of Legends fast täglich und verbrachte meine freie Zeit damit, über League-Esport Artikel zu schreiben und schaute mir auf YouTube Videos mit League-Content an.

Die Zeit würde mir diese Frage beantworten.

Abfahrt aus Deutschland – Angekommen in England



Am Abend vor meiner Abfahrt spielte ich also das letzte Mal League mit meinen Freunden. Wir spielten, hatten Spaß und irgendwann kam die Zeit des Ausloggens. Ich haderte und zögerte damit, im Hinterkopf die zuvor erwähnten Fragen. Es würde wohl vier Monate dauern, bis ich mich wieder einlogge.

Und, um euch den Zeitraum mal etwas näher zu bringen: In diese vier Monate fielen der Release von Senna und Aphelios, die Einführung der neuen Elementar-Drachen und des Elder-Drakes, die Überarbeitung des Launchers, der Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg der Conqueror-Rune, der Großteil von TFT-Set 2, das Austauschen von Kleptomanie durch Omnistone, das gesamte zehnjährige League of Legends-Jubiläum, die Worlds, etc.



Ihr seht also, was ich alles mit dem Klick auf das X verpassen würde. Und, logischerweise, tat ich es. All das ging mir mehr oder weniger in den wenigen Sekundenbruchteilen des Zögerns durch den Kopf. Und dann machte ich mich auf nach London.

Angekommen im Zimmer sah ich, dass ich nahezu keine Möglichkeit haben würde, League of Legends zu spielen. In meinen temporären eigenen vier Wänden standen ein Bett, ein Schrank - und das war es auch schon. Zugegeben: Ich verschwendete nicht viele Gedanken daran, immerhin war ich in London.

Ich tat also, was viele tun würden: Sightseeing, Dinge erleben, Leute treffen. Was ich nicht tat: zocken. Und es machte mir gar nichts aus, es hat mir nicht gefehlt. Da wusste ich: Gott sei Dank! Ich bin nicht süchtig!

Und dann…



Ich arbeitete viel, genoss die Stadt und die Zeit verflog. Doch dann kam die World Championship 2019 und das Auftreten von G2 Esports. Natürlich war ich begeistert und natürlich ging das nicht an mir vorbei. Also schaltete ich in den Stream ein.

Es waren ein paar Wochen vergangen und das war der erste Moment, an dem ich ernsthaft dachte, dass ich „mal wieder Lust hätte“. Lust, eine Runde League zu spielen, einen Stream zu sehen, mehr als ein League-Video zu schauen.

Der Kontrast war enorm. Von heute auf morgen hörte ich quasi auf mit dem Spiel, das vorher einen großen Teil meines Freundeskreises dominierte. Verlor ich dadurch meine Freunde? Nein. Verlor ich dadurch den Kontakt zu meinen Freunden? Ja, teilweise.

Zocken beherbergt einen unglaublich sozialen Charakter. Ich war zwar manchmal bei der abendlichen Zockerrunde mit auf dem Discord und habe mich mit meinen Freunden unterhalten, allerdings merkte man schon, dass dort etwas gefehlt hat – die Aktivität eben.

Dass das Zocken sozial eine viel größere Bedeutung hat, als es ihm oft zugeschrieben wird, sei an anderer Stelle besprochen. Es fungiert als eine Art Klebstoff zwischen Freunden, man hält Kontakt. Und dieser Klebstoff und der dadurch entstehende Kontakt, das war es, was mir wirklich gefehlt hat. Nicht das Spiel an sich.

Und am wenigsten fehlte mir sicherlich der Flame. Es fühlt sich so an, als begebe man sich in einem Solo-Queue-Spiel in die Abgründe der Menschheit. Es wird beleidigt, schlechte Stimmung gemacht, geflamet. All das, was das Spiel zerstört. Vermisst habe ich das nie.

Interessanterweise lief ich dem Spiel und dem Esport aber auch in London über den Weg. So besuchte ich zwischenzeitlich eine Esport-Bar, die die WM-Spiele übertragen hat. Es war spannend, sich mit den Spielerinnen und Spielern in der Bar auszutauschen, doch überraschenderweise hatte ich selber keine Lust, zu spielen. Das änderte sich irgendwann.



„Ach komm‘, eine Runde geht“



Inzwischen waren Monate vergangen und ich bemerkte einen fundamentalen Punkt: Ich spielte League of Legends zu Hause, weil es nichts Besseres zu tun gab.

Nun, das ist sicherlich sehr überspitzt dargestellt. Es gibt viele Gründe, warum ich das Spiel liebe und gerne spiele und der größte ist sicherlich der oben beschriebene „Klebstoff-Aspekt“. Jedoch war ich in London, einer Stadt, in der es sehr viel zu tun gibt und in der einem nie langweilig wird.

Dort spielte ich das Spiel nicht mehr. Bis ich eines Abends in meinem Bett lag und wie gewohnt auf Discord mit meinen Freunden sprach. Nach ca. drei Monaten überredeten sie mich, ein privates Spiel zu starten – und ich hatte den Spaß meines Lebens.

Dabei hätten die Umstände schlechter kaum sein können. Ich lag in meinem Bett, eine Maus auf dem Laken, das möglichst fest gespannt war – für eine möglichst glatte Oberfläche. Der Laptop stand auf dem wackligen Beitisch, der Rücken gekrümmt, die linke Hand verzweifelt auf den Tasten QWER liegend.

In einer Position, die der Alptraum für jeden Orthopäden sein dürfte, spielte ich also ein privates Spiel – und ging sang- und klanglos unter.


Ich entschied mich für Veigar, weil ich dachte, dass der Champion selbst so spielbar wäre. War er nicht. Nichtsdestotrotz spielte ich das Spiel mit einem selten gesehenen Vergnügen. Es war, als würde man alte Freunde wieder treffen. Und, ein bisschen zumindest, war das ja auch so.

Trautes Heim – Glück allein



Mir nichts, dir nichts war die Zeit in London vorbei. Es ging für mich zurück in meine Heimat, zurück in meine Wohnung, an meinen PC.

Ich lud den momentanen Patch herunter, las mich in die Patchnotes ein. Und das war eine Menge. Ich sah den neuen Launcher, war verwirrt, und loggte mich in meinen Account ein.

Und dann merkte ich etwas, das ich seit ewiger Zeit nicht mehr gemerkt habe – ich hatte aus purem Herzen so richtig Lust auf das Spiel.

Wie vorher erklärt spielte ich das Spiel früher in erster Linie, um jeden Abend Kontakt mit meinen Freunden zu haben. League of Legends war da mehr ein Vehikel, ein Mittel zum Zweck. Der kleinste gemeinsame Nenner, sozusagen, auf den sich meine Freunde und ich einigen konnten.

Seltenst bis nie spielte ich League aus purem Interesse und Spaß am Spiel. Bis ich nach meinem dreimonatigen Zölibat wieder anfing – und das Spiel aus ganzem Herzen genoss. Ich probierte neue Champions, Items, Spielweisen aus, kehrte zurück zu alten Bekannten und letztendlich in die Kluft.

Endlich hatte ich wieder Spaß am Spiel – und habe ihn bis heute gehalten. Was lernen wir daraus? Manchmal tut ein bisschen Abstand gut und stärkt das eigentliche Empfinden.

Videospielsucht – Auf ein Wort



Aber da war ja noch was: Videspielsucht.

Ohne das statistisch oder faktisch belegen zu können, glaube ich, dass mehr Menschen Anzeichen von Videospielsucht aufzeigen, als man denken mag - mich selbst eingeschlossen.

Der WHO nach kennzeichnet sich Computerspielabhängigkeit durch eine „eingeschränkte Kontrolle über das Gaming, einer zunehmenden Priorität des Gamings gegenüber anderen Aktivitäten in dem Maße, dass das Gaming Vorrang vor anderen Interessen und täglichen Aktivitäten hat und die Fortsetzung […] des Gamings trotz des Auftretens negativer Folgen.“

Das klingt alles sehr schwammig und hört sich nach „Ach, übertreib‘ doch nicht“ an; insbesondere der zweite Aspekt sollte aber zu denken geben. „Vorrang gegenüber […] täglichen Aktivitäten“ klingt undeutlich.

Doch was ist, wenn ich euch den Satz sage: „Ich kann Online-Spiele nicht pausieren, Papa!“? Oder „Eine Runde vorm Schlafengehen schaffe ich noch!“? Oder „Ich esse später nach, ich kann grade nicht, bin am Zocken!“?


All das bezieht sich auf tägliche Aktivitäten: Zeit mit den Eltern verbringen, Schlafen, Essen. Und, das kann keiner hier bestreiten, das sind Sätze, die so oder in der Art die meisten von uns schon mal gesagt haben; wie gesagt, mich selbst eingeschlossen.

Und man sollte an die Sache reflektiert rangehen: Nur, weil man einmal ehrgeizig ist und ein Spiel beenden will, ist man nicht spielsüchtig. Nur, weil man mit Freunden noch etwas Zeit verbringen will, hat man keine Gaming-Disorder.

Aber, meiner Ansicht nach, stellen diese Sätze und die Situationen, die sie bestreiten, den ersten Schritt in die falsche Richtung dar. Und zu einem reflektierten Umgang gehört eben auch das Einsehen dessen, was man eigentlich nicht sehen will: die Gefahr, selbst süchtig werden zu können.

Bilquelle: Riot Games

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    Bernd Wilken
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